Ein Leben des Glücks – nicht in meinen ersten Jahren.
In meinen ersten Jahren als Kind habe ich mich das erste Mal selbst getötet.
Es war symbolisch.
Ich habe mich symbolisch selbst getötet.
Ich weiß es noch genau. Es hat sich eingebrannt.
Mein Vater hatte die Angewohnheit mich wieder und wieder auf das Tiefste vor meinen Freunden zu blamieren und zu demütigen. Er hat mir vor meinen Freunden intimste Dinge an den Kopf geworfen, die selbst innerhalb der Familie peinlich waren.
Es gibt nicht viel Schlimmeres für ein Kind als die Blamage vor den eigenen Freunden: Das man noch mit 11 am Daumen lutscht. Oder sich beim Schlittenfahren in die Hose gemacht hat. Die Einzelheiten sind weg, sie sind ausgeblendet. Die Gefühle der Erniedrigung sind geblieben.
Kinder leiden unter solchen Dingen in einer Weise, die man als Erwachsener nur erahnen kann. Mein Vater konnte sie nicht erahnen. Vielleicht ja doch? Im Nachhinein unterstelle ich ihm Boshaftigkeit. Ging es darum, mich zu verletzen?
An jenem Tag im Sommer war es wieder so weit.
Ich erinnere mich nicht mehr an die Dinge, die dazu führten, dass ich mich so gedemütigt und blamiert gefühlt habe. Ich weiß nur noch, wie ich mich ertrinkend in Tränen dem Gartenteich unseres Hauses genähert habe. Ich war nicht allein. Ein Freund folgte mir – seine Anwesend führte zu einer unglaublichen Brutalität der Situation.
Vielleicht erahnte er, wie es mir erging. Vielleicht war er ebenso hilflos wie ich. Oder aber er empfand die Worte meines Vaters nicht als schlimm. Das spielte aber keine Rolle: Ich empfand sie als verletzend. Rücksichtslos gesprochen, um eben das eine Ziel zu erreichen. Mir weh zu tun. Der Vater verletzt das eigene Kind und hinterlässt es in einer abgrundtiefen Hilflosigkeit.
Ein Vater soll sein Kind beschützen. Er soll es nicht demütigen und verletzen. In meiner Familie war aber alles anders. Vater, Mutter, Bruder boten eine Welt, die nichts Warmes zu bieten hatte. In der Anwesenheit meines Freundes bahnte sich nun die psychische Kälte meines Vaters erneut ihren Weg.
Durch die Tränen hindurch erreichte ich den Teich. Verzweifelt und einsam. Trotz der verabscheuten Anwesenheit meines Freundes und meines Vaters im Hintergrund, war ich allein im Schmerz. Ich war allein auf dieser Welt. Blamiert, gedemütigt und einsam. Alles stieg in mir hoch, vergangene Demütigungen, Gewalt und die unendliche immer wiederkehrende Einsamkeit. Der Tag war als extremer Kontrast so wunderschön. Die Sonne schien, es war warm. Die Sonne lachte, während ich weinte. Der Tag war perfekt für zwei Jungen um die 11. Wir sollten einen ausgelassenen Tag genießen, doch ich weinte und alles war kalt.
Warum nur musste mein Vater diesen Tag zerstören? Wir hatten diesen großen Garten, der keinerlei Bedeutung mehr hatte. Er konnte keinerlei Bedeutung mehr haben – für mich.
Ausgelassene Tage meiner Kindheit hielten nie lange an. Alles Positive wurde durch die Brutalität von Worten und Taten zerstört. Ich kann mich an keinen Tag des Glücks erinnern. Jeder Ansatz der Freude wurde mit einer Vehemenz zerstört, die eben nur ein Kind so richtig spüren kann. Und ich – als ein solches Kind – stand nun einsam, allein vor dem Gartenteich.
Die Tränen ergossen sich stetig in das stille Wasser. Es schien, als würde mir das Wasser zuraunen: „Komm! Bei uns kommt Dir niemand mehr zu nah! Komm!“ Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich wollte im Teich versinken. Ich wollte mein Leiden, mein Leben beenden. Ich sprang.
Da stand ich nun bis zu den Oberschenkeln im viel zu niedrigen Gartenteich.
Mein Freund lachte.
Mein Vater schimpfte aus dem Hintergrund.
Ich war nass, es war kalt.